Mit sechs Sternen in der Ruhmeshalle

 

Zwei Lingenerinnen sind sechs der größten Marathons der Welt gelaufen

Julia Mausch

Insgesamt 136 Frauen aus Deutschland haben alle sechs World Marathon Majors in Berlin, New York, Boston, Chicago, London und Tokio absolviert. Zwei von ihnen kommen aus Lingen: Anke Dall und Birgit Naegler dürfen sich nun Six Star Finisher nennen. 
Als Anke Dall nach der Schwangerschaft aus gesundheitlichen Gründen damit anfing, „etwas Sport“ zu treiben, hätte sie sich vermutlich niemals im Traum vorgestellt, knapp 20 Jahre später in der Hauptstadt Japans an der Startlinie zum Tokio-Marathon zu stehen. Genau dort stand sie aber vor wenigen Wochen zusammen mit ihrer Freundin Birgit Naegler und rund 38000 weiteren Läufern.
Nur etwa ein Prozent an europäischen Läufer dürfen jährlich an dem Lauf teilnehmen. Dass Anke Dall und Birgit Naegler dazugehören – nicht selbstverständlich, aber redlich verdient. 
Es war nicht ihr erster Marathon weltweit. Schon 2011 waren die Frauen beim New York Marathon dabei und hatten dort einen Läufer entdeckt, auf dessen T-Shirt sechs der größten Marathons weltweit abgedruckt waren, die der Mann offensichtlich gelaufen war. Das wollten die Lingenerinnen auch – ihr Ansporn war geweckt. 
Seit 2011 haben die beiden Freundinnen so Marathons in New York (2011), Berlin (2013), London (2014), Boston (2016) und Chicago (2019) gemeistert. Diese gehören zu den größten Marathons weltweit und haben sich – zusammen mit dem Tokio-Marathon – zu den World Marathon Majors zusammengeschlossen. 

Six Star Medaille für alle sechs Marathons: Wenn alle sechs großen Marathons der World Marathon Majors-Serie gelaufen sind, erhalten die Läufer die Six Star Medaille und werden in der Hall of Fame dieser Marathon-Serie aufgenommen. Aktuell sind dort 601 deutsche Läufer zu finden, darunter 136 Frauen – und die Lingenerinnen gehören dazu. 
Die Medaille ist für Anke Dall und Birgit Naegler die wahrscheinlich wichtigste Medaille, die Hobbyläufer in ihrer Marathon-Karriere erreichen können. Schließlich war damit bei den Lingenerinnen jahrelang Arbeit und Schweiß verbunden. 
42,195 Kilometer misst ein Marathon. In den vergangenen Jahren haben die Lingenerinnen so jeden Stock und Grashalm im Kiesbergwald kennengelernt, um auf diese Strecke zu kommen – und das zu jeder Tages- und Nachtzeit: „Wir sind ja noch berufstätig und mussten unser Training vor und nach der Arbeit absolvieren.“ Das führte dazu, dass die Frauen sich in den Wochen vor dem finalen Marathon in Tokio morgens um 6.30 Uhr getroffen haben, um viermal die Woche bei Kälte und Dunkelheit Kilometer innerhalb von Stunden zu stemmen. 

Gesundheitliche Probleme in der Vorbereitung: Die Vorbereitung auf den Lauf war für die Frauen eine Zerreißprobe. Drei Jahre mussten sie auf den Marathon warten, denn die Corona-Pandemie machte einen Strich durch die Pläne der Sportlerinnen. Während der Vorbereitung fesselte zudem eine Corona-Infektion, eine Grippe und eine Magen-Darm-Erkrankung die Frauen ans Bett. „Wäre es um einen Marathon in Deutschland gegangen – ich hätte ihn aufgrund meiner gesundheitlichen Verfassung abgesagt“, ist Dall, die beim VfL Lingen trainiert, ehrlich. 
Die Teilnahme drohte erneut zu scheitern, denn für den Tokio-Marathon galten viele Regeln: digitaler Nachweis der Covid-Impfungen, sechs Tage digitale Protokollierung der Körpertemperatur und des Gesundheitszustandes und digitale Protokollierung von je einem Covid-Schnelltest an zwei Tagen vor dem Start. 
Die Freundinnen igelten sich in den Wochen vor der Reise zu Hause ein, gingen zu keinen Veranstaltungen oder Treffen, und auch die Ehepartner zogen mit. Die Gefahr einer Ansteckung: zu groß. Die Teilnahme an Marathons weltweit ist nicht nur mit sportlichem Ehrgeiz, sondern auch viel Geld verbunden.
Kosten weit mehr als 10000 Euro: Denn: Startplätze bekommen Sportler nur über die Teilnahme an der Startplatzlotterie oder durch die Qualifizierung einer schnellen Zeit bei einem der vorherigen Läufe. Als Alternative besteht die Möglichkeit, die Startplätze zusammen mit einem Reisepaket bei Marathon-Reiseveranstaltern zu kaufen. Für die kompletten sechs Läufe summieren sich die Kosten auf weit über 10000 Euro.
Im Fall der Lingenerinnen waren die Kosten höher. „Wir wollten ja auch die Reise dazu nutzen, die Städte zu erkunden, und nicht nur zum Laufen dahinfliegen“, sagt Birgit Naegler und gibt zu, dass jeder Marathon schon eine Art Stadtbesichtigung gewesen ist und jeder knapp vierstündige Lauf eine „Geschichte für sie geschrieben hat“ und sie jedes Mal aufs Neue nervös war, sagt Naegler, die zu den Lauffreunden Emsland gehört.

Exotik der jüdischen und arabischen Wohnviertel in Brooklyn: Die Frauen berichten von eindrucksvollen Momenten wie dem Zieleinlauf durch das Brandenburger Tor in Berlin, die Exotik der jüdischen und arabischen Wohnviertel in Brooklyn in New York oder die verschiedenen Bergauf- und Bergab-Abschnitte in Boston mit zwölf Prozent-Steigung über viele Kilometer. Kraft dabei hätten sich die Marathon-Läufer untereinander gegeben. Denn trotz Sprachbarriere – ein Daumen hoch ist international aufmunternd.

(Artikel aus der Lingener Tagespost)